Wasser
H2O. Na klar. Was sonst?
Wasser muss eine besondere Bedeutung haben.
Wenn man Nah am Wasser gebaut ist, bricht man in Tränen aus. Vielleicht deshalb, weil man ins kalte Wasser geworfen wurde. Dann steht einem das Wasser bis zum Hals. Oder man schwimmt wie ein Fisch im Wasser, auch wenn man kein Wässerchen trüben kann. Selbst wenn ich weiß, dass stille Wasser tief sind, und dass Andere auch nur mit Wasser kochen, so kann ich dir dennoch nicht das Wasser reichen.
Also, jede Menge Sprüche über Wasser. Und auch schon der alte Heraklit sagte „Es ist unmöglich, zweimal in denselben Fluss zu springen. Auch wenn wir in dieselben Flüsse steigen, fließt immer anderes Wasser herbei.“
Und schließlich die Frage, wer übers Wasser gehen kann. Nein, nicht Basti, unser Ex-Kanzler – obwohl viele es geglaubt haben, er hat bewiesen, dass er es nicht kann. Es war wer anderer. „Nachdem Jesus die Fünftausend gespeist hatte, ging er auf einen Berg, um zu beten. Seine Jünger fuhren mit einem Boot über den See Gennesaret. Als die Nacht hereinbrach, kam ein Sturm auf, und die Wellen schlugen hoch. Spät in der Nacht kam Jesus zu seinen Jüngern. Er ging über das Wasser, um zum Boot zu kommen. Die Jünger sahen Jesus auf dem Wasser gehen. Sie hatten Angst. Sie dachten, er sei ein Geist. Jesus rief ihnen zu: Ich bin es; fürchtet euch nicht!“
Der Kellner stellt ein Achterl Wein vor mich hin.
„Danke“, sage ich.
Und er… was tut er? Er stellt auch noch ein Glas Wasser dazu. Ich sehe mir das Glas aus der Nähe an. Ausgiebig. Langsam wende ich mich um. Mein Gesichtsausdruck ist ernst, als ich den Kellner anschaue. Er blickt fragend zurück. Wirkt verunsichert. So ist es gut.
„Hab ich das bestellt?“, frage ich.
„Ähh… nein. Das ist… ähh… gratis. Zum Wein…“
„Ich trinke niemals Wasser“, belehre ich den Kellner.
„Ja, aber… Soll ich’s wieder mitnehmen?“
„Nein, nein, lassen Sie es nur stehen.“
Der Kellner ist irgendwie… wie soll ich sagen? Er weiß nicht so recht, wie er dran ist.
„Lassen Sie es nur stehen“, mischt sich Erich ein, „der Pepi tut immer so – und irgendwann trinkt er’s doch.“
Die Körpertemperatur wird von Wasser geregelt. Wir schaden – allen – unseren Organen, wenn wir zu wenig trinken. Ausreichend Flüssigkeit brauchen wir für Gehirn, Schleimhäute, Verdauung und Nieren. Unser Körper besteht zu 60 % aus Wasser. Es ist Teil der Körperzellen, der Körperflüssigkeiten. Und essentieller Bestandteil bei Stoffwechselvorgängen. Und bei biochemischen Reaktionen. Wasser ist daher lebensnotwendig. Das weiß eigentlich jeder.
„Willst du vielleicht ein Glas Wasser dazu?“
Wozu, das spielt jetzt eigentlich keine Rolle. Aber nach dieser Frage, gebe ich mich immer etwas verstört.
„Ähh… eigentlich…“, sage ich zögernd, als wäre es mir peinlich, „eigentlich habe ich mir heute die Füße schon gewaschen…“
Klares Wasser kommt nach dem Trinken direkt in den Darm. Ohne Umwege. Es fetzt richtiggehend durch den Magen. Muss ja nicht verdaut werden. Und im Darm, da wird der Großteil durch die Wanderung von Flüssigkeitsmolekülen durch die Darmwände absorbiert. Das heißt übrigens Osmose. So gelangt das Wasser schließlich in das arterielle Blut. Dort fließt es, bis es in die Zellen gelangt. Das ist eigentlich ein gar nicht so komplizierter Vorgang. Oder?
„Heut‘ ist’s ziemlich heiß. Da kann man den Wein net pur trinken.“
„Nicht?“, frage ich zaghaft.
„Net bei der Hitz. Mågst an G’spritztn?“
Das ist eine der gefürchtesten Fragen, die man mir stellen kann. Nicht nur, weil ich niemals – niemals! – G‘spritztn trink. Nein. Aber die Frage deutet darauf hin, dass nur Spritzwein zur Verfügung steht. Igittigitt.
„An G’spritztn?“, frage ich entsetzt, „meinst du Wein und Wasser in einem Glas?“
„He, was sonst?“
„Aber…“, antworte ich, „wenn in den Wein noch Wasser rein gehören würde, hätte ihn doch der Weinbauer gleich reingetan. Oder?“
Ich krieg dann meist ein Achterl pur. Und ein Glas Wasser dazu.
Ärzte empfehlen, weil das angeblich wissenschaftlich bewiesen ist, ein halber Liter Wasser auf leeren Magen – also vor jeder Mahlzeit. Das soll den Energieumsatz im Körper um 30% anheben. Man verbrennt etwa 100 Kalorien zusätzlich pro Tag (das ist aber eh nicht viel!). Aber nicht nur vor den Mahlzeiten. Wasser muss immer in Reichweite sein. Denn es soll kontinuierlich getrunken werden. Immer wieder in kleinen Mengen (ich glaub, das ist ein wenig übertrieben). Und außerdem sollte man nicht nur bei körperlichen Anstrengungen Wasser trinken, sondern auch vor geistigen Anstrengungen. Und möglichst auch währenddessen, damit das Gehirn optimal versorgt wird. (Im Umkehrschluss würde das heißen: keine Anstrengung – kein Wasser. Oder?)
Beim Mostbauern ist das immer heikel. Denn hier trinkt man im Normalfall halb-Liter-weise. Daher trinken fast alle meiner Freunde den Most nur g’spritzt. Manche Warmduscher auch sommerg’spritzt.
Nur ich bestelle „eine Halbe pur.“
„Pur?“, fragt der Kellner, ob dieser durchaus unüblichen Bestellung.
„Pur“, antwort‘ ich stur.
„Nicht g’spritzt?“, vergewissert er sich nochmals.
„Glaubst du, ich will eine Wasserver-giftung?“
Das scheint ihm einzuleuchten.
Ich geb’s zu. Es geht meist nicht gut aus. Nach der dritten Halbe schlafe ich sanft ein.
Apropos Wasservergiftung. Man denkt jetzt wahrscheinlich, dass es das gar nicht gibt. Von wegen! Wenn man zu viel Wasser trinkt, kriegt man eine Wasservergiftung. Wirklich! Ich schwöre! Es ist nämlich so, dass dann Wasser übrigbleibt. Und dieses überschüssige Wasser bleibt im Körper. Wo soll es denn hin? Und – jetzt kommt’s – es verdünnt das Blut. Die Salz-
konzentration im Blut sinkt. Und was sind die Folgen? Muskelschwäche, Desorientierung, epileptische Anfälle, Herzversagen. Daher: bitte immer vorsichtig sein, beim Wassertrinken.
„Sie müssen schon etwas aufpassen…“, meint mein Arzt warnend.
„???“
„In Ihrem Alter…“
„Was?“
„Na, dass Sie immer genug trinken“,
„Keine Sorge, ich trink eh genug“, ist meine Antwort.
„Ich meine aber Wasser!“
„Ach so…“
„Nimmt eine 70 Kilo schwere Person“, fährt der Arzt mit ernster Miene fort, bricht dann aber ab und mustert mich von oben bis unten.
„Ja?“, frage ich.
„Nimmt eine 70 Kilo schwere Person bei normaler körperlicher Betätigung einen Tag kein Wasser zu sich…“
„Aber…“, will ich ihn unterbrechen.
„… hat man einen Wasserverlust von rund zweieinhalb Liter. Das sind rund vier Prozent des Körpergewichts. Und dann kommt es zu Kreislaufbeschwerden, die erheblich sein können…“
„Aber…“
„…und zu Kopfschmerzen. Und zu Schwindel.“
„Aber ich wiege eh nicht 70 Kilo.“
Der Arzt ist not amused.
Als wir 2017 Südafrika bereisten, staunten wir in Kapstadt nicht schlecht. Im Hotel hingen Warnschilder an den Wasserhähnen. „We will survive this drought.“ In den Badezimmern waren Sanduhren angebracht, um zu langes Duschen zu verhindern. Naja, es war gerade der dramatischste Wassermangel und die schlimmste Dürre seit 100 Jahren.
Die Äthiopier graben mit ihrem 74-Milliarden-Kubikmeter-Damm am blauen Nil gerade den 100 Millionen Ägyptern das Wasser ab. In Ägypten ist der Nil die einzige Quelle an Trinkwasser. Ägypten hat bereits mehrere Male mit Krieg gedroht. Naja, Wasser ist kostbar.
Immer kostbarer scheint es auch in den USA zu werden. Die Rancher und Farmer entlang des Sacramento River lassen inzwischen ihr Land brachliegen. Die verkaufen lieber das Wasser, das sie dem Sacramento entnehmen dürfen. Sie bieten es an der Wasserbörse an. Am Terminmarkt. Dort verpflichten sich Käufer und Verkäufer, Wasser zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft, zu einem vorher festgelegten Preis zu liefern, beziehungsweise abzunehmen. Die Farmer finden, das bringt mehr und ist einfacher als die Knochenarbeit auf den Feldern.
Das kennen wir in Österreich nicht wirklich. Wasser? Wasser ist halt einfach da. Es kommt aus der Wasserleitung. Sooft man aufdreht. Aber das ist nicht überall so. Heuer hatte es im Iran, im Irak, im Libanon und in Syrien wochenlang über 50 Grad. Gut, nachts ist es eh auf 30 Grad gesunken. Trotzdem waren die Wasserreservoirs leer. Wenn nicht, dann legten die Stromausfälle die Pumpstationen lahm. Hundertausende gingen auf die Straße, um gegen die Wasserknappheit zu protestieren. Hunderte Tote. Nicht, weil sie verdursteten, sondern bei den Krawallen umkamen.
Doch Durst kann wirklich schlimm sein.
Schließlich sang auch Ulli Bär:
Der Durscht bringt mi um,
Jaja, der Durscht bringt mi um,
I brauch a Bier, sonst kumm i um.
Ja, I’m crying, crying for my Bier,
I’m dying, dying for my Bier.
In der Südsteiermark. Die dritte geschlossene Buschenschank auf unserem Wanderweg. Das Schild „Heute Ruhetag“ ignorierend, klopfen wir an.
„Ach, wir sehen eh, dass Sie heute geschlossen haben… Hätten Sie trotzdem ein Flascherl Wein für durstige Wanderer. Weil… der Durst bringt uns um.“
„Ja, natürlich, setzt’s euch nieder. Was wollt’s denn?“
„Vielleicht ein Flascherl Sauvignon blanc?“
„Bring ich euch gleich. Vielleicht einen Krug Wasser dazu?“
Alle stecken den Kopf hinein. Niemand sagt was.
„Na, ich bring einfach einen Krug.“
Als wir gehen ist die Flasche Wein leer. Der Wasserkrug voll.
Was uns zur Frage bringt, wie lange es dauert, bis man verdurstet. Leider sind die Antworten darauf nicht eindeutig. Es heißt, dass ohne Wasser der Tod in der Regel innerhalb von zwei bis sechs Tagen eintritt. Eine lange Zeitspanne. Klar ist, warum der Tod eintritt. Weil die Nieren ihre Arbeit einstellen. Das Nierenversagen führt zu einem Kaliumüberschuss im Blut. Herzstillstand. Es heißt allerdings, dass man im Extremfall bis zu zwölf Tage überleben kann. Ich halte das Verdursten jedenfalls für den schlimmsten aller Tode.
Erich hat natürlich recht. Im Laufe eines Abends trinke ich nicht nur Wein. Ich trink auch Wasser. Irgendwann. Vorher muss ich aber unbedingt irgendwie erkennen lassen, dass Wasser nichts für mich ist. Es geht schließlich um mein Image.
Ich möchte daher nicht, dass alle wissen, dass ich täglich zwei bis drei Liter Wasser trinke. So habe ich jeden Tag am Morgen nach dem Frühstück schon einen Dreiviertelliter Wasser getrunken. Und im Laufe des Tages kommen gut und gerne nochmals eineinhalb bis zwei Liter dazu. Denn ich weiß, dass Wasser lebensnotwendig ist. Insbesondere für Alte. Aber… das betrifft mich ja noch nicht so…