Paprika

Drei Stunden hat der Aufstieg gedauert. Der Weg führte anfangs über Wiesen, dann durch Wälder und letztlich über felsiges Gelände. Ich bin vollkommen verschwitzt, als wir den Gipfel erreichen. Wie alle anderen. Aber jetzt ist es geschafft. Zuerst ein Foto unter dem Gipfelkreuz. Dann das Gipfel-Schnapserl. Jetzt – nachdem wir wieder zu Atem gekommen sind – genießen wir die traumhafte Rundum-Aussicht. Und jetzt geht’s an die Jause. Alle suchen sich einen einigermaßen bequemen Sitzplatz. Die Rucksäcke werden geöffnet. Kleine Brettln werden hervorgezaubert. Taschenmesser. Würste. Geselchtes. Käse. Alle teilen.
„Magst von mir ein Stückerl…?“
„Krieg ich von dir ein Stückerl…?
Alle tauschen. Alle teilen. Aber ich teile EINES nicht. Meinen Paprika. Eine große grüne Paprikaschote. Die ist einfach herrlich zur Jause. Gibt Geschmack. Löscht den Durst.

Damals war ich 20, oder 25. 30? Und heute? Heute würde ich auch keinesfalls einen Paprika teilen. Einen Paprika unterm Gipfelkreuz, den würde ich… vergraben. Und wenn es noch so steinig ist. Ich würde einen Weg für das Begräbnis finden. Denn heute… heute hasse ich den Paprikageschmack. Warum? Weiß nicht. So ändern sich die Zeiten. Heute ist es so, dass ich ihn auch nicht vertrage. Nur ein einziges Stück Paprika, ein einziger Bissen, und ich habe ihn den ganzen Tag wieder „heroben“. Er kommt immer wieder. Furchtbar! Und ich hab mir das so zurecht gelegt: der Körper ist schlau. Das, was er nicht verträgt, das mag er auch nicht. Eigentlich eine tolle Konstruktion.

Leider ist es so, dass heutzutage jeder Koch, der etwas auf sich hält, Paprika verwendet. Ich meine jetzt nicht das Paprikapulver. Nein, das mag ich ja. Auch den Geschmack. Ich meine dieses grüne, rote oder gelbe Gemüse. Den Paprika halt. Da ist beispielsweise ein ganz bekanntes Linzer Restaurant. Wunderschönes Ambiente. Und man isst dort sehr gut. Und es gibt ein überbordendes Salat- und Vorspeisenbüffet. 28 verschiedene Salate und Vorspeisen habe ich gezählt. Und davon sieben ohne Paprika.
‚Ja, gibt’s denn das?‘ hab ich mir gedacht, ‚der Küchenchef muss ja einen ordentlichen Klescher haben‘.
Na, ich hab mir dann eh unter den sieben paprikalosen Vorspeisen auch was gefunden. Leicht war’s nicht, denn der Paprika ist teilweise getarnt. Mit verschiedenfärbigen Soßen. Mit Balsamico-Essig. Man muss manchmal schon sehr genau schauen, dass man ihn entdeckt.
So nahm ich mir vor, dem Küchenchef zu schreiben. Also zu e-mailen.

Lieber Küchenchef,
es ist sehr löblich, dass Sie für ihr Restaurant eine große Auswahl an Salaten und Vorspeisen zubereiten. Aber warum haben sie in 75% (21 von 28) aller Vorspeisen Paprika gemischt? Paprika ist nicht Jedermanns Geschmack. Warum tun Sie das?
MFG Pepi

Lieber Gast,
erstens sind es nicht 75% und zweitens isst man ja auch mit dem Auge. Paprika verleiht jedem Gericht die nötigen Farbtupfer. Drittens ist teilweise so wenig Paprika drinnen, dass man ihn gar nicht schmeckt. In der Hoffnung, Sie auch künftig als Gast begrüßen zu dürfen, verbleibe ich
MFG Küchenchef

Lieber Küchenchef,
das tut mir jetzt aber wirklich leid. Denn (erstens) ich kann ja nicht einfach Ihre Kompetenz als Küchenchef anzweifeln. Schließlich haben Sie sicherlich Koch gelernt und verfügen über einen exzellenten Geschmackssinn. Ich habe nicht Koch gelernt, verfüge über keinen exzellenten Geschmackssinn. Ich bin nur ein leidenschaftlicher Esser. Aber ICH weiß, dass Paprika in jedem Gericht zu schmecken ist – und sei es eine noch so geringe Menge. Der Paprikageschmack übertönt alles. Und (zweitens) – ich esse auch Gerichte ohne Farbtupfer. Übrigens (drittens), 7 von 28 sind tatsächlich 75 %. Ich bin kein Koch, aber Mathematiker.
MFG Pepi

Eine neuerliche Antwort bekam ich nicht. War auch nicht zu erwarten. So schlage ich mich halt jetzt so recht und schlecht durch. Und immer wieder erwischt es mich. Ich bestelle Wiener Schnitzel mit grünem Salat. Was ist im Salat? Grüne Paprikastreifen. Ich bestelle ein Schweinsbratl-Brot. Was gibt’s als Beilagen-Deko? Rote Paprikastreifen. Ich bestelle… Ach, lassen wir das!

Ich bestelle Seeteufel an Cognac-Sauce. Und was ist in der Cognac-Sauce? Winzige gelbe Paprikastückchen. Ich lasse den Koch kommen.
„Lieber Herr Koch“, begrüße ich ihn und frage, „Bedecktsamigen Pflanzen in der Cognac-Sauce?“
„Wie bitte, mein Herr?“
„Bedecktsamige Pflanzen? Magnoliopsida? Kennen Sie nicht?“
„Nein, leider. Bedaure.“
„Warum tun Sie sie dann in die unschuldige Cognac-Sauce?“
„Ähhh… was? Ich verstehe nicht.“
„Nachtschattengewächse, also Solanaceae gehören zur Familie der Bedecktsamigen Pflanzen.“
„Aha…“
„Nix wissen? Nachtschattengewächse?“
„Ich weiß nicht, was Sie meinen.“
„Trotzdem tun Sie sie in die Cognac-Sauce?“
„Ähhh…?“
„Schaun Sie, ich erklär Ihnen das. Die Pflanzengattung Paprika gehört zur Familie der Nachtschattengewächse. Jaja, ich weiß… Es gibt viele Sorten von Paprika. Chili, Spanischer Pfeffer, Peperoni, Peperoncini, Pfefferoni… Aber das, was hier drinnen ist“, ich deute auf meinen Teller, „ist unverfälschter, reiner Paprika.“
„Ja, und?“
Er scheint ungeduldig zu werden. Aber ich muss meine Rache auskosten.
„Was haben alle Paprikaarten gemeinsam?“ frage ich ihn.
„Weiß ich nicht. Ich muss wieder in die Küche…“
„Nein, nein. Nicht so schnell. Fast alle Paprikaarten enthalten – in sehr unterschiedlicher Konzentration – den Stoff Capsaicin. Der erzeugt die Schärfe.“
„Ja, ja. Ich muss jetzt wirklich…“
„Aber auch wenn Paprika und Chili in Deutschland zum ‚Gemüse des Jahres’ gewählt wurde – selbst dann, haben Sie noch lange kein Recht, einen Seeteufel mit Paprika zu verhunzen.“
Der Koch dreht sich um und geht.
„Sie wissen ja nicht einmal, woher der Name ‚Paprika‘ kommt“, rufe ich ihm nach.
Er bleibt nicht stehen, ruft aber über die Schulter zurück „aus dem Ungarischen.“
„Falsch!“ brülle ich ihm nach, „aus dem Serbischen! Aus dem serbischen ‚pàprika‘! Pap-ri-ka! Wenn Sie nicht einmal das wissen…!“
Die Tür fällt hinter ihm zu. Der Kellner sieht mich sprachlos an.
„Na, jetzt haben Sie auch was gelernt. Meinen Seeteufel können Sie gleich wieder mitnehmen.“

Damit kein falscher Eindruck entsteht – es ist keineswegs so, dass ich eine krankhafte Paprika-Abneigung hätte. Also… krankhaft würde ich das nicht nennen. Eher konsequent. Also eine konsequente Paprika-Abneigung. Als ich die Geschichten für mein Buch ‚Andere Weihnachtsgeschichten‘ schrieb, war da ein G‘schichtl dabei, das hieß ‚Hupfauf und Rauberbraten‘. Und da veröffentlichte ich auch das Rezept für den ‚Rauberbraten‘. Nur leider war im Originalrezept angegeben, dass die Rindsschnitzel auch mit einem Streifen Paprika gefüllt werden. Also was tun? Sowas konnte ICH nicht veröffentlichen! Also, hab ich den Paprika einfach gestrichen. Ist doch nur konsequent – oder?

Wenn ich mit meinen Freunden unterwegs bin, geht’s mir – paprikamäßig – eh ziemlich gut. Christian, Dieter, Karl… Alle in meinem Alter. Hat das Alter was mit der Paprika-Aversion zu tun? Also, die meisten meiner Freunde haben einen Horror vor Paprika. Warum geht’s mir da besser? Na, wenn wir gemeinsam im Wirtshaus was zu essen bestellten, fragen die schon routinemäßig „ist da eh kein Paprika drinnen“. Was mich erinnert, die Frage auch zu meiner Bestellung zu stellen. Mit unterschiedlichem Erfolg.
„Keine Ahnung“ ist die Standardantwort. Oder auch „ich glaube nicht“. Der Glaube allein hilft mir aber nicht. Oder „nein, nein, keineswegs.“ Das ist dann schon sehr verdächtig. Denn das Ergebnis ist dann meist, dass kein Paprika zu sehen ist, aber alles nach Paprika schmeckt. Man hat die größten Stücke herausgefischt.
Am besten ist also doch, wenn man selber schauen kann. Der Fleischhauer meines Vertrauens, verkauft auch kleine Snacks. Für die Jause. Da gibt’s Ochsenmaulsalat, Gemüsemayonnaise, Krabbencocktail, Schweizer Wurstsalat, Tunfischsalat, Calamari, Essigwurst. Ich wähle 10 Deka Ochsenmaulsalat. Da schien kein Paprika drinnen zu sein.
„Ist da eh kein Paprika drinnen?“ frage ich nur vorsichtshalber.
„Keine Ahnung“, ist gelangweilte Antwort.
Da kommt mir eh schon die Galle hoch! Bei dieser Interesselosigkeit zu so einer wichtigen – existenziellen – Frage.
„Wenn einer drinnen ist, bringe ich ihn zurück“, drohe ich.
„Du Ferdl“, ruft meine Verkäuferin zu ihrem Kollegen, „ist im Ochsenmaul ein Paprika drinnen?“
„Nein“, gibt der zur Antwort, „nicht im Ochsenmaul, aber in der Essigwurst – denn dort gehört einer rein.“
Jetzt seh‘ ich aber rot!
„Was?“ rufe ich, „in die Essigwurst gehört Paprika hinein? Sind Sie nicht ganz bei Trost? Sowas habe ich doch noch nie gehört! In die Essigwurst gehört eine Knacker, Zwiebel, Essig und Öl! Sonst nichts! Das sagt das Essigwurst-Reinheitsgebot! Höchstens noch etwas Salz und Pfeffer! Und sonst gar nichts! Und schon gar kein Paprika!“
Ferdl wendet sich beleidigt ab. Ich beruhige mich wieder. Aber den Ochsenmaulsalat können sie sich auch an den Hut stecken. Wer weiß, was die da alles hineintun? Ich nehme gebratene Ripperl.

Seit dem Frühstück habe ich nichts gegessen. Das Mittagessen habe ich ausgelassen, weil heute eine Tarockpartie bei Amina und Joschi stattfindet. Und da gibt’s immer was Gutes zu essen. Und ich habe schon „etwas“ Hunger.
Um ½ 6 erhebt sich Amina, um das vorbereitete Essen in den Ofen zu scheiben.
„Es dauert etwa eine halbe Stunde. Ist das eh okay?“ fragt sie.
Obwohl wir die Frage – an sich – nicht ganz verstehen, antworten Joschi, Wolfgang und ich, sowas wie, dass das ‚ja, ja, eh ganz okay‘ sei.
Nach einer halben Stunde verkündet Amina nach einem Blick ins Ofenrohr, dass das Essen gleich fertig sei. Nun, dieser Blick ins Ofenrohr konnte natürlich nur getan werden, nachdem die Tür des Ofenrohrs geöffnet wurde. Und was entströmt bei dieser Gelegenheit? Na, ein Duft.
Und was für einer! Mein Magen krampft sich zusammen. Meine Knie beginnen zu schlottern. Ein Kopfschmerz überfällt mich. Das riecht nach… Paprika! Ich klammere mich an einen Strohhalm. Es könnte ja sein… es könnte ja sein, dass es sich nur um eine Letscho-Beilage handelt. Das könnte man ja dann gleich weglassen… Obwohl natürlich der Duft den ganzen Raum erfüllt…
„Heute gibt’s meine Lieblingsspeise…“, erklärt Joschi.
Ich fürchte mich panisch davor, was jetzt kommt.
„… gefüllte Paprika“, beendet Joschi den verhängnisvollen Satz.
Ausgerechnet ‚Gefüllte Paprika‘! Was ich was noch weniger mag, als Paprika, dann sind das ‚Gefüllte Paprika‘.
Ich muss natürlich jetzt unbedingt anfügen, dass ich als Ersatz hervorragenden Käse serviert bekam. Nach der Beichte über meine „gefühlte“ Gefüllte-Paprika-Allergie. Aber… ich muss auch anfügen, dass das letztendlich ein ganz beschissener Abend für mich war. Denn ich hab beim Tarock auch noch 15 € verloren. 15 € sind eigentlich – für sich allein betrachtet – völlig wurscht. Aber 15 € verlieren UND Gefüllte Paprika, das ist eindeutig für einen einzigen Abend zuviel.

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