Lascaux – die wahre Geschichte

Lascaux – die wahre Geschichte

Die jungpaläolithische Höhle von Lascaux (genannt auch Grotte von Lascaux) in der Nähe von Montignac im französischen Département Dordogne enthält bedeutende Höhlenmalereien aus der archäologischen Kulturstufe Magdalenien, die der frankokantabrischen Höhlenkunst zugeordnet werden. Seit 1979 zählt die Höhle zum Weltkulturerbe der UNESCO.

Marcel war am Boden zerstört. Wieder hatte er in der Schule einen Fünfer kassiert. Und einen Eintrag ins Mitteilungsheft. „Wie ist es möglich, dass Ihr Sohn nicht einmal weiß, wie ein Stier und ein Pferd aussieht?“ hatte sein Zeichenlehrer Léon Laval geschrieben. Mit dem Zusatz „Oder macht er das absichtlich?“ Vater würde gar nicht erbaut sein, wenn er das unterschreiben musste. Schon der zweite Fünfer im Zeichenunterricht und das Schuljahr hatte doch gerade erst begonnen.
Jacques, Georges und Simon, seinen besten Freunden, war es etwas besser ergangen. Alle drei hatten einen Vierer auf ihre Zeichnungen bekommen. Und keinen Eintrag ins Mitteilungsheft. Da alle vier nach der Schule zu Hause arbeiten mussten, blieb natürlich keine Zeit für ‚Vergnügungen‘ wie zeichnen. Daher waren sie allesamt grottenschlechte Zeichner, wobei ‚grottenschlecht‘ noch eine besondere Bedeutung bekommen sollte.

Es war der 12. September 1940 und ein wunderschöner Herbsttag, die Sonne schien warm. Die vier Freunde hatten von der Schule auch den gleichen Nachhause-Weg. Wie immer hatte Marcel seinen Terrier Robot in die Schule mitgenommen und ihn während des Unterrichts vor den Toren angebunden. Die vier Freunde wussten von der Legende, dass im Wald von Lascaux vom alten, maroden Schloss des kleinen Ortes Montignac ein Geheimgang zum Gutshof von Lascaux existiere – unter dem Fluss Vézère hindurch! Und von diesem Geheimgang sollte ein Zweig in den Wald von Montignac führen, an dessen Ende ein unermesslicher Schatz zu finden sei.
Nun, diese Vorstellung – und die Aussicht auf jagbare Kaninchen – führte Marcel Ravidat, seinen Terrier Robot und seine drei Freunde heute durch den Wald. Doch plötzlich war Robot verschwunden. Sie riefen nach ihm. Suchten ihn. Dann endlich hörten sie sein Kläffen. Der Hund kauerte vor einer Vertiefung, die der Wurzelballen einer umgestürzten Pinie hinterlassen hatte. Als sie näherkamen, erspähten sie unter der Mulde ein weiteres Loch, das in die Erde führte. In der Hoffnung, dass sie eine Höhle mit dem geheimen Schatz entdeckt hatten, merkten sie sich den Ort gut.

Zwei Tage später waren die Freunde zurück. Sie hatten Schaufel und Spaten mitgebracht und eine Fackel. Sie gruben und erweiterten das Erdloch, bis es groß genug war, dass sie hineinsteigen konnten. Marcel stieg als erster hinab. Seine drei Gefährten folgten ihm. Sie staunten nicht schlecht, als sie im Schein der Fackel sahen, dass sie sich in einem Höhlen-Saal von rund 30 Meter Länge befanden. Und dahinter entdeckten sie noch weitere Räume. Sie fanden viele Verzweigungen der Höhle und durchliefen einige. Die Fackel drohte schließlich zu erlöschen und sie hatten noch immer nichts von einem Schatz gefunden. Also mussten sie für heute aufgeben.

Am darauffolgenden Tag kehrten sie zurück. Sie hatten mehrere Fackeln mit und suchten alle Abzweigungen des Höhlensystems ab. Kein Schatz. Enttäuscht setzten sie sich auf den sandigen Boden. Marcel fuhr mit den Fingern durch den Sand und sah, dass er verschiedenfarbig war. Schwarz, Braun, Ocker und Rot. Da kam ihm eine Idee.
„Hört mal, ich habe eine Idee“, sagte er zu seinen Freunden, die ihn fragend ansahen. „Diese Wände hier“, fuhr er fort (er wusste damals noch nicht, dass es Calcitwände waren), „sind doch ideal zum Bemalen.“
Die Blicke von Jacques, Georges und Simon wurden misstrauisch. Was sollte das Geschwafel von malen, wenn sie doch alle – und am wenigsten Marcel – nicht einmal zeichnen konnten.
„Ich habe hier am Boden gesehen“, fuhr Marcel unbeirrt fort, „dass da sandige Erde mit verschiedenen Farben ist. Wir werden diese Wände mit dieser farbigen Erde bemalen. So können wir auch für die Schule üben, denn wir müssen ja dringend unsere Zeichennoten verbessern.“
Und so kam es, dass Marcel einen vier Meter langen Stier malte, der zwar unförmig war, aber in der Luft zu schweben schien. Jacques malte ein rätselhaftes, geflecktes Tier mit runder Schnauze und langen, geraden, vorwärts weisenden Hör-nern an die Wand. Georges fabrizierte mehrere Pferde in leuchtendem Gelb, die mangels Zeichentalent ziemlich plump wirkten. Von Simon stammten Hirsche mit baumartigen Geweihen auf dem Kopf.

Nun mussten sie warten, bis alle Farben getrocknet waren. Inzwischen war ihnen die Idee gekommen, ihrem Zeichenlehrer Léon einen Streich zu spielen. Nach drei Tagen erzählten sie ihm, dass sie eine Höhle mit wundersamen alten Malereien gefunden hatten. Léon Laval stieg noch am selben Tag, am 18. September, in die Höhle hinab. Und war begeistert. Er informierte den Prähistoriker und katholischen Priester Abbé Henri Breuil, der drei Tage später eine erste Höhlenerkundung unternahm. Noch im selben Jahr veröffentlichte er eine erste wissenschaftliche Beschreibung. Er datierte die Kunstwerke ins Périgordien.

„Alles scheint zugleich Vertrautes der Gegenwart und Botschaft einer fernen Welt zu sein“, schrieb das TIME-Magazin über die Entdeckung, die international Furore machte. Und weiter „Obwohl die Höhlenbilder verblüffend modern wirken, wurden sie in der Jüngeren Altsteinzeit geschaffen, als jeder Jäger und Sammler war und Homo sapiens neben dem Neandertaler existierte. Die Bilder sind Zeugnis des Sprungs in der neuralen Entwicklung, der das menschliche Bewusstsein hervorbrachte.“

1948 wurde die Höhle für die Allgemeinheit zur Besichtigung geöffnet. Dazu wurde der Höhlenboden ausgeschachtet und abgesenkt, eine elektrische Beleuchtung installiert. Auch eine Treppe wurde eingebaut und eine schwere Bronzetür an den Eingang gesetzt, um das Höhlenklima nicht allzu stark zu destabilisieren. Die Höhle von Lauscaux wurde zum Publikumsmagneten.

1963 äußerte die Pariser Historikerin Anni Mateur erste Zweifel am Alter der Malereien. Dieser Meinung schlossen sich bald weitere Stimmen an. Man entschloss sich, die Höhle zu schließen. Was tun? Es wurde ein Geheimauftrag an eine Gruppe von Forschern erteilt, eine Expertise über die Höhlenmalereien zu erstellen. Das Ergebnis war vernichtend. Das Alter der ‚prähistorischen Kunstwerke‘ wurde auf höchstens 50 Jahre geschätzt. Eine bodenlose Blamage für die französischen Prähistoriker – ja für die ganz Nation, die niemals an die Öffentlichkeit kommen durfte. Mit der Begründung, die von den Besuchern abgegebene Atemluft würde die Bilder beschädigen und in der Folge würden Kondenswasser und organische Substanzen zur Bildung von Schimmel führen, wurde die Lascaux-Höhle dauerhaft geschlossen.
Anfang 1980 wollte man auf den touristischen Faktor der Lascaux-Malereien nicht mehr verzichten und beschloss, einen originalgetreuen Nachbau zu erstellen. Denn bei einem Nachbau können keine Zweifel am Alter der Originalmalereien auftauchen. 1983 wurde Lascaux II für die Allgemeinheit eröffnet: eine exakte Nachbildung des Saals der Stiere und des axialen Seitengangs, nur 200 Meter von den Originalen entfernt. Der Eingang führt, einen authentischen Eindruck vermittelnd, in den Untergrund. Und so bestaunen heute in der ‚meistbesuchten Sehenswürdigkeit der Dordogne‘ jährlich 250.000 Besucher das ‚berühmteste altsteinzeitliche Heiligtum der Welt‘. Und gedenken voll Dankbarkeit der ‚Entdecker‘ Marcel, Jacques, Georges und Simon…

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