Es gibt keine Strassenräuber mehr

Was war das doch noch für eine Zeit! Ich denke oft zurück. Damals, als es noch Maikäfer gab. Man konnte in Italien nicht gefahrlos spazieren gehen, denn Straßenräuber lauerten hinter jeder Ecke. Naja, passiert ist einem nicht viel. Man war halt einfach sein Geld los. Mehr nicht. Denn, dass einem nicht wirklich was passierte, darauf achtete schon immer die Mafia. Gefahr für Leib und Leben ist nämlich nicht kompatibel mit Tourismus. Und der Tourismus bringt Geld. Den Unternehmen der Mafia.
Aber einfache, ehrliche Straßenräuber wurden schon immer toleriert. Auch von der Mafia. Aber dennoch – im Laufe der Zeit wurde es auch für Straßenräuber ungemütlich. Die Polizei hatte vermehrt ein Auge auf sie. Und von dieser Seite drohte Gefängnis. Auch nicht sehr gemütlich für einen ehrlichen Straßenräuber. Dazu kam, dass viele Touristen mit diesen Scheiß-Kreditkarten herumrennen, statt mit dem guten alten Bargeld. Besonders für die Jugend war dieser Beruf – einst Inbegriff aller Begehrlichkeiten – nicht mehr gefragt. Und so fehlte schön langsam der Nachwuchs. Und überdies war die Innung der Straßenkriminellen lange Zeit inaktiv. Es wurden nichts in die Jugend investiert. Es gab keine Förderungen. Keine Anreize.
Heute sind selbst die innersten Innenstädte weitgehend Straßenräuber-los. Ob Rom, Neapel, Mailand, Venedig, Bologna, Palermo… Nicht einmal bei den größten Touristenattraktionen wie Kirchen, Brunnen, Museen sind Straßenräuber anzutreffen. Auch wenn man sie sucht, sich nach ihnen erkundigt – sie sind nicht zu finden. Weil es sie nicht mehr gibt.
Daher stellen sich viele die Frage, wovon sich die ungelernte Bevölkerung Italiens heutzutage ernährt. Und dieser Frage – bzw. deren Antwort – sind wir auf den Grund gegangen. Und vielleicht gibt das folgende Interview näheren Aufschluss?

Interviewer: Francesco, wir haben dich hier in der La Casa del Caffe am Piazza Venezia angetroffen. Du bist an der Kasse gestanden. Seit wann arbeitest du hier?
Francesco: Ich nicht wirklich arbeiten. Ich Kassa. Mussen aufpassen. Wegen Personal von Ausland. Du verstehen?
Interviewer: Ich verstehe. Also nicht ganz. Was meinst du damit?
Francesco: La Casa del Caffe gehören mir. Mussen aufpassen, nicht betrugen Personal. Personal kommen von Ausland. Nix Personal aus Italia. Personal von Ausland stehlen. Francesco nix verlassen kann.
Interviewer: Aha, du bist der Besitzer. Wie kommst du zu diesem schicken Café?
Francesco: Musst du wissen, ich kommen aus Verhältnis einfaches. Meine Eltern nix gebildet, aber reich. Du verstehen? So richtig reich. Viel Geld.
Interviewer: Du kommt also aus einer reichen Familie. Mit Schloss am Land und so?
Francesco: Nein. Nur reich. Meine Mama nix schreiben können. Nix lesen. War Donna delle pulizie per i Servizi igienici. Im Vatikan. Und so ist reich geworden.
Interviewer: Donna delle pulizie per i Servizi igienici?
Francesco: Ja, ihr sagen Klofrau.
Interviewer: Und als Klofrau ist sie reich geworden?
Francesco: Ja, Vatikan viele Leute. Mussen pissen. Meine Mama haben aufpassen 12 Muscheln. Sie nehmen für Pissen 1 Juro. Sie sagen, manchen Tagen 3.000 bis 4.000 Pisser. Mama viele Millionen als sie sterben.
Interviewer: Millionen?
Francesco: Ja, aber Papa… Papa auch nix können lesen und schreiben. Papa viel verdienen wenn jung. Aber nix mehr haben Job, als geworden älter.
Interviewer: Was war denn dein Vater von Beruf?
Francesco: Mein Papa gewesen Rapinatore. Straßenrauber. Wenn jung, er jeden Tag viel bringen Geld zu Hause. Aber Geschäft gegangen immer schlechter. Leute haben Carta di Credito. Straßenrauber nicht können sagen „Du unterschreiben Beleg. Du zahlen mit Visa“. Und viel Polizia da. Immer Polizia, Überall Polizia. Er gewesen gute ehrliche Straßenrauber. Haben seinen Beruf… wie man sagt? …amore …geliebt. Er immer zu mir sagen, du mussen auch werden Rapinatore, Straßenrauber.
Interviewer: Und dann bist du Gastronom geworden.
Francesco: Was ist Gastronom?
Interviewer: Na, Caféhausbesitzer.
Francesco: Ich nix Besitzer. Ich geworden, wie Papa gesagt.
Interviewer: Was meinst du damit?
Francesco: Ich nix können schreiben. Ich nix können lesen. Ich nix können rechnen. Ich geworden bin Straßenrauber.
Interviewer: Aber du bist doch kein Straßenräuber!
Francesco: Doch! Ich bin. Ich verlangen 5 Juro für Espresso. 12 Juro für un piccolo birra. 8 Juro für kleine acqua minerale… Ich geworden bin Straßenrauber. Rapinatore moderno. Nix Risiko.
Interviewer: Danke für das Gespräch.

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