Buggy

Ich hatte schon zu Hause von Peru-Reisenden gehört, dass eine Buggyfahrt durch die Sanddünen von Huacachina ein unvergessliches Erlebnis sei. Also fragten wir unsere Reiseführerin Anbelle, ob das am Nachmittag machbar wäre. „Natürlich“ meinte sie und bald darauf erschien ein etwas wild aussehender junger Mann, um unsere Buchung entgegenzunehmen. Eh klar, dass sich Karl und Robert gleich meldeten, auch mitfahren zu wollen. Nicht so klar war das bei Traudi und schon gar nicht bei Siegi. Trotzdem wollten sie mitkommen, denn „so aufregend wird eine gemütliche und gemächliche Fahrt durch den Wüstensand ja doch nicht sein…“ Wir wollten erst um 5 Uhr los, denn die Spätnachmittagssonne und der Sonnenuntergang um 7 Uhr in der Wüste – das hatten wir uns vorgenommen.

Und nun stehen wir also vor unserem Buggy. Der Fahrer – er hat vorher die Buchung entgegengenommen – schaut noch genauso etwas wild aus wie zuvor. Und der Buggy – schaut noch wilder aus. Er sieht aus, als wäre er selbst zusammengebastelt und besteht eigentlich fast nur aus Überrollbügeln. In ein derartiges Gefährt gehen 9 Personen rein, inklusive Fahrer. Karl und ich sitzen vorne, Siegi, Traudi und Robs ganz hinten, zwischen uns noch drei uns unbekannte junge „Mitreisende“. Siegi ist schon beim Einssteigen etwas blass um die Nase. Jetzt schon! Dabei weiß sie noch nicht…

Kaum haben wir Platz genommen, müssen wir die Gurte anlegen. Das sind übrigens die einzigen Dinger, die in dem Gefährt halbwegs professionell aussehen: Hosenträgergurten, die nachgestellt werden und wirklich ganz straff sitzen. „Wozu?“ scheint Siegi zu denken. Das wird aber gleich klar, als wir aus dem kleinen Örtchen Huacachina hinausdüsen. Des Fahrers Fahrweise kann durchaus als ruppig bezeichnet werden, er scheint in 1 Sekunde von Null auf Hundert beschleunigen und ebenso schnell wieder abbremsen zu können.

Schnell lassen wir die kleine Oase hinter uns zurück, erklimmen die ersten Dünen, kommen in eine Art Wüstenhochebene, wo uns unser Fahrer beweist, dass er mühelos 100 Sachen fahren kann. Irgendwas beim (selbstgebastelten?) Motor scheint nicht ganz zu stimmen. Irgendwie drückt’s da das Motoröl (oder eine Kühlflüssigkeit?) heraus. Die kleinen Tropfchen fliegen uns in der ersten Reihe nicht nur um die Ohren, sondern ins Gesicht – im Nu sind Brillen und Fotoobjektiv ölgesprenkelt und ölverschmiert. Und unser Fahrer trägt nicht mal eine Sonnenbrille. Wir nennen ihn ab sofort insgeheim den „Brillenlosen, mit dem Ölfilm über dem Augapfel“.

Als wir wieder eine steile Düne hinaufsausen, hantiert der Brillenlose wild mit dem Schaltknüppel. Der Motor heult auf. Und wir stehen am Rande des Abgrunds. Unter uns scheint „Nichts“ zu sein. Was es ja nicht gibt, denn schließlich sind wir in der Wüste und unter uns muss Sand sein. Wüstensand. Als sich der Brillenlose anschickt, sich mit uns in die Tiefe zu stürzen, kann ich grad noch schreien „na, bitte net do owi!“. Er scheint der österreichischen Mundart nicht mächtig, ignoriert mich, lässt den Motor aufheulen und schießt die steile Sanddüne mit uns bergab. In einer Geschwindigkeit, dass ich Angst habe, dass mir die Brillen davonfliegen. Gott sei Dank hat unsere Düne – so steil sie auch ist – einen sanften Auslauf und daher laufen wir auch sanft aus.

Aber schon fetzen wir die nächste Düne hoch. Wir warten schon ängstlich darauf, dass der Brillenlose herunterschaltet und langsamer wird – denn das wäre das Zeichen, dass wir uns dem Rand der nächsten Düne nähern und wir den nächsten Sturz in die Tiefe vor uns haben. Und so kommt es. Die nächste rasende Talfahrt hat aber ein etwas anderes Ende: kein sanfter Auslauf, sondern nur ein schmaler enger Talboden und schon rasen wir die nächste steile Düne empor. Es ist die reinste Hochschaubahn! Mir staucht’s das Kreuz zusammen. Die (vorgefallenen) Bandscheiben senden verzweifelte Signale an mein Gehirn, das doch gefälligst zu unterlassen. Allein – mein Gehirn kann jetzt auch nichts ausrichten, außer dem Körper zu befehlen, alle Muskeln anzuspannen, ja regelrecht zu verkrampfen.

Nach der fünftausendsten Berg- und Talfahrt greift eine höhere Macht ein. Wieder heult der Motor auf und der Brillenlose hat den Schaltknüppel in der Hand. Das scheint ihn nicht zu beunruhigen, wir bleiben stehen, er wirft den Knüppel zu Boden und winkt einem anderen Buggy-Fahrer, ihm zu helfen. Während die beiden unseren Buggy „fachgerecht“ reparieren (Werkstätte scheint keine in Sicht), finden wir Zeit um auszusteigen und erstens zu verschnaufen und zweitens die Wüstenlandschaft zu betrachten. Wohin ich auch blicke, nichts als Sand, Wüste und Dünen. Die Sonne steht schon tief und wirft bizarre Schatten. Herrliche Fotomotive. Wir schaffen sogar ein Bild von uns „Buggy-Five“, da sich Siegis schlotternde Knie rasch stabilisieren.

„Leider“ ist unser Buggy nur all zu bald repariert und weiter geht die rasende Fahrt. Schön langsam tritt ein Gewöhnungseffekt ein und wir finden Gefallen an dem Auf und Ab und genießen die rasende Fahrt. Nachdem wir eine besonders hohe Düne erklettert haben, machen wir Halt. Nun sind unsere jungen Mitreisenden mit ihrem „Stunt“ an der Reihe. Sie rasen mit Sand-Surfbrettern zu Tal – freilich am Bauch liegend, denn ein Sturz im doch sehr festgepressten Sand wäre nicht ratsam. Bis die wieder zurück sind, haben wir Zeit, die Wüstenumgebung und ihre Ruhe zu genießen. Die Sonne schickt sich schon an unterzugehen. Die Dünen scheinen plötzlich nicht mehr sandfarben, sondern orange und beginnen regelrecht zu leuchten.

Die Sandsurfer sind etwas lahm und schlecht zu Fuß. Daher dauert’s eine ganze Weile, bis sie wieder zurück sind. Jetzt wird’s schon trawig, wenn wir noch den Aussichtspunkt erreichen wollen, um die Sonne untergehen zu sehen. Wir schaffen’s grad noch mit einer ganzen Menge anderer Buggies, die höchste Düne zu erreichen. Mit leichtem Schrecken sehen wir, dass die Buggy-Five bei weitem das höchste Alter auf dem Buckel hat – inklusive Robert! Wir genießen den Anblick des sich rötlich verfärbenden Himmels, ein paar Minuten später ist die Sonne verschwunden. Das leuchtende Orange weicht dunkeln Ockertönen. Da die Sonne auf diesen Breitengraden wie ein Stein zu Boden fällt, bricht auch die Dunkelheit schnell herein.

Die Rückfahrt ist daher noch schauriger. Die Dünen und deren Abgründe sind – wenn überhaupt – nur mehr schemenhaft zu erkennen. Unser Buggy hat kein Licht. Das hindert den Brillenlosen jedoch nicht, genauso mit 100 Sachen dahinzurasen und sich mit uns genauso todesmutig in die bodenlosen Abgründe zu stürzen. Das ist jetzt ein neues Gefühl: du siehst nichts und verlierst ganz plötzlich den Boden unter den Füßen …äh Rädern. Der Motor fetzt uns seine letzen Öltröpfchen in unsere Gesichter. Erstmals halte ich bei der  Höllenfahrt sogar meine ölverschmierten Brillen fest. Hoch über der Oase halten wir ein letztes Mal an, der Anblick der beleuchteten Häuschen und des schimmernden Wüstensees ist schon fast kitschig. Ein paar Minuten später sind wir wieder zurück. Anabelle erwartet uns schon, mit weichen Knien laufen wir zu unserem Bus.

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