Baum fällt!

Schon 2015 hatte ich Verhandlungen mit meinem Freund und Ex-Kollegen Hannes aufgenommen, im Wald bei der Jagdhütte seiner Partnerin Christine einen Baum zu fällen. Mit der Axt. Denn mit einer Säge kann das jeder. Die Aufgabe, die ich mir gestellt hatte, lautete „einen Baum mit der Axt fällen“.
Hannes hatte schon einen Baum für mich ausgesucht – aber es wurde nichts. Mein Bandscheiberl spielte wieder mal verrückt. Und das zog sich bis 2016. Und es zog sich. Sodass es auch 2016 nichts wurde. Als ich dann nach meiner OP im Dezember 2016 ziemlich mies beisammen war, dachte ich schon, dass ich diesen „To-do-before-you-die-Punkt“ wohl nicht erfüllen konnte.
Und dann wurde – Gott sei Dank – alles anders. Bei der Reha im Frühjahr 2017 erlangte ich die notwendige Fitness, also nahm ich erneut Verhandlungen mit Hannes auf. Er bestand darauf, dass ich dem Baum nicht „unbeaufsichtigt“ fällen durfte – es musste jemand anwesend sein, der sich damit auskannte. Ein Profi! Darüber war ich froh, denn ich hatte keine Ahnung, wie man einen Baum mit einer Axt fällt. Außerdem schien das nicht ungefährlich. Nicht nur, weil man sich möglichst keinen Fuß abhacken sollte, sondern auch weil das Bäumchen ja irgendwann mal umfallen musste und möglichst niemanden – auch mich nicht – erschlagen sollte. Auch, dass er auf Dächer oder Autos stürzte, sollte tunlichst vermieden werden. Und das Wichtigste: ich hatte natürlich keine Axt und im Internet las ich, dass das Wichtigste die richtige Ausrüstung war. Hatte die Axt keine „Schneid“, war man auf verlorenen Posten. Ich war daher erleichtert, als meine Frage, ob der „fachkundige Anwesende“ auch eine ordentliche Axt mitbringen würde, mit ja beantwortet war.
Wir hatten also einen Termin vereinbart und mir war klar, dass das eine schweißtreibende Angelegenheit werden würde. Und ich war mir keineswegs sicher, dass ich es auch schaffen würde, denn man sollte schon „ordentliche Muskeln“ mitbringen – und mit denen war’s bei mir nicht so weit her. „Mutmacher“ hatte ich außer Hannes keinen. Denn jeder, dem ich von meinem Vorhaben erzählte, schüttelte nur den Kopf. „Mit einer Axt…? So ein Blödsinn!“ Ja eh! Aber es ist nun mal so, dass ich Blödsinn liebe und wenn ich mir mal was in den Kopf gesetzt habe…

Und heute ist es so weit. Heute findet der „Baum-Killing-Event statt. Zum Frühstück verdrücke ich noch ein paar Eier mit Speck, denn das gibt Kraft. Um halb zwölf treffe ich bei Hannes in Liebenau ein, in genau jener Jagdhütte, in der ich seinerzeit mein Buch fertiggestellt habe. Zum Empfang gibt‘s gleich mal ein Bierchen. Ich nehm‘ ein kleines. Ich brauch zwar heute nicht mehr mit dem Auto fahren, denn mit der Einladung zum Baumumhauen ist auch die Übernachtung in Liebenau inkludiert, aber Bier macht müde und ich bin sicher, dass ich heute alle meine Kräfte brauchen werde. Hannes meint, dass er schon eine Axt für mich hätte und zeigt mir eine stumpfe, verrostete kleine Kinderaxt. Sehr witzig.
Dann geht’s ab zur Baumbesichtigung. Ich hab zwei Bäume zur Auswahl. Der erste steht mitten im Wald, ist nur bedingt zugänglich und scheint mir etwas sehr wuchtig. Der zweite steht am Waldrand und kommt mir handlich vor. Den nehm‘ ich. Die spätere exakte Ausmessung wird ergeben, dass er einen Umfang von 85 cm hat, einen Durchmesser von 26 cm und eine Höhe von 15 m. Er ist 31 Jahre alt, denn ebensoviele Jahresringe hat er. Nach dieser Erstbesichtigung, die meine Selbstzweifel ob der doch ansehnlichen Höhe noch weiter steigen lässt, nehmen wir noch ein Bierchen. Mit Video und Fotos halte ich den jetzt noch lebendigen Baum fest, dessen letztes Stündchen aber bald geschlagen haben wird. Und verschick ein paar WhatsApps.
Dann trifft der erste Helfer ein. Es ist Ernst. Man erklärt mir, dass das aber nicht der Baum-Fäller-Profi ist. Seine Funktion am heutigen Tag ist mir vorerst unklar. Christine verkündet, dass als Stärkung eine Holzfällerjause vorgesehen ist. Kasnocken mit Speck. Okay. Aber, meint sie, das Essen sei erst in einer halben Stunde fertig.
Dann trifft Fredl ein. Er ist der Baum-Fäller-Profi. Mit seinen 75 Jahren nicht mehr der Jüngste, aber immerhin ein Profi. Und ganz wichtig: er lädt drei frisch geschliffene Äxte aus. „Mit denen kannst du dich rasieren“, meint er. Fredl ist ein lustiger Bursche. Er war 40 Jahre lang Holzfäller von Beruf, aber mit einer Axt hat er schon lange keinen Baum mehr gefällt. Seit den 60er-Jahren, erklärt er mir, macht man das mit Motorsägen und davor mit Zugsägen. Na, da hab‘ ich auch noch was gelernt. Bald sind die Kasnockn fertig. Zünftig wird eine Rein ohne Teller in die Mitte des Tisches gestellt. Wir fallen darüber her, als hätten wir alle schon mehrere Bäume gefällt.
Jetzt wird’s aber ernst. Fredl markiert mit Sprühfarbe die Kerben, die ich schlagen sollte. Mit einem kritischen Blick auf meine athletische Baumfällerfigur meint er, dass ich heute sicher noch fertig werden würde. Das baut mich auf. Ich entschließe mich, mir anstatt der kurzen Hose und Sandalen doch eine lange Jean und feste Schuhe anzuziehen – außerdem ist’s hier in Liebenau auf 950 Meter Höhe ohnedies nicht allzu heiß. Fredl meint aber, dass die Temperatur – um die 18 Grad – gerade richtig sei, denn er vermutet, dass ich ins Schwitzen kommen würde. Ich geb‘ ihm recht. Hannes sprüht noch „PEPI“ auf den Baum – wohl dass ich ihn in der Hitze des Gefechtes nicht mit einem anderen verwechsle.
Jetzt wird’s aber richtig ernst. Ich mache ein paar Aufwärmübungen, was die Anwesenden zu Gelächter verleitet. Unbeeindruckt streife ich meine Holzfäller-Lederhandschuhe über, greife mir eine der drei Äxte, wiege sie sorgsam in meiner Hand, stelle mich vor „meinem“ Baum und versuche sicheren Halt mit meinen Beinen zu bekommen. Weit schwinge ich mit der Axt aus und lasse sie in den Baum sausen. Hhhhnn? Also… Wieso ist da jetzt keine tiefe Kerbe? Grad mal ein kleines Schnitterl in der Rinde! Der Pegel meiner Selbstzweifel steigt rasant an. Fredl meint, ich müsste immer zuerst einen waagrechten Schlag gegen den Baum führen und dann einen von oben in einem Winkel von etwa 45 Grad. Dann würde schön langsam (!) eine Kerbe entstehen. Na gut.
Ich schlage eine Kerbe. Nach zwei Minuten geht mir die Luft aus, ich muss eine kurze Pause einlegen. Weiter geht’s. Schlag um Schlag. Hieb um Hieb. Keuch! Ein kurzes Päuschen. Fredl lacht leise. Warum? Schlag um Schlag. Hieb um Hieb. Keuch! Ein kurzes Päuschen. Aber es ist schon eine Kerbe zu sehen. Diese Kerbe, die ich jetzt schlage, erklärt mir Fredl während einer der zahlreichen Verschnaufpausen, ist jene, über die der Baum letztendlich abknicken wird. Sie gibt dem Baum die Richtung. Na gut. Nach etwa zwanzig Minuten ist eine Kerbe entstanden, die Fredl als tief genug bezeichnet. Jetzt geht’s daran, auf der anderen Seite des Baumes eine noch viel größere Kerbe zu schlagen, sodass der Baum letztendlich nur mehr eine Dicke von drei Zentimetern hat – und das sollte ihn dann im wahrsten Sinn des Wortes „umhauen“.
Ich mach mich also an der Rückseite daran, eine viel größere Kerbe zu hauen. Schlag um Schlag. Hieb um Hieb. Ich horche bei jedem Axthieb in meinen Körper hinein, ob bandscheibenmäßig eh noch alles klar ist. Es scheint alles klar zu sein, aber die Luft geht mir aus. Ich brauch mal eine längere Pause. Bin völlig verschwitzt. Christine kocht Kaffee. Ich verschicke ein paar WhatApps mit der Dokumentation meiner Fortschritte.
Ich hab‘ mich wieder etwas erholt und mache mich wieder an die Arbeit. Bald bin ich wieder völlig durchgeschwitzt. Wieder ein kleiner Verschnaufer. Ich betrachte die jetzt schon beträchtliche Kerbe. Bin schon etwas stolz darauf. Ich frage Fredl, ob das nicht bald reichen würde. Er lacht. Was bedeutet das? Mein Kerbe wird immer tiefer. Jetzt geht nichts mehr recht weiter. Fredl meint, dass die Kerbe zu eng sei – so würde ich die notwendige Tiefe nicht schaffen, ich müsste sie erweitern. Na gut. Schlag um Schlag. Hieb um Hieb. Schön langsam beginne ich wieder zu erlahmen. Ich brauche wieder eine kleine Auszeit. Setze mich und trinke Wasser. Mein Selbstzweifelpegel ist ständig zurückgegangen und mittlerweile auf dem Tiefststand. Ich bin schon so weit gekommen… jetzt bin ich überzeugt, dass ich das schaffen werde.
Also mit frischen Kräften wieder an die Arbeit. Schlag um Schlag. Hieb um Hieb. Ich rufe Fredl zur nächsten Begutachtung, weil ich glaube, dass der Baum schon bald fallen müsse. Wieder lacht Fredl leise. Er meint, dass ich mich noch etwas anstrengen müsste. Also: Schlag um Schlag, Hieb um Hieb. Und dann endlich Fredls erlösenden Worte: „Ja, jetzt wird’s bald“. Und zwei Minuten später: Baum fällt! Geschafft! „Mein“ Baum ist erlegt. Und das in einer knappen Stunde – sie sind mir aber wie fünf vorgekommen.
Jetzt erst mal ein großes Bier, denn ich bin völlig ausgetrocknet. Über WhatsApp verschicke ich die Dokumente meines Erfolges. Fredl holt sich die Motorsäge aus dem Auto und zersägt „meinen“ Baum, der quer über den Weg liegt in 1-Meter-Stücke. Fredl ist ein Virtuose an der Motorsäge. Als ich erfolglos versuche, ein 1-Meter-Stück aufzukippen – viel zu schwer – tritt jetzt auch Ernst in Aktion. Er schnappt das Trum und wuchtet es auf einen Karren. Unwahrscheinlich, dass ein Mensch – und der jüngste scheint er ja auch nicht mehr zu sein – solche Kräfte entwickeln kann. Ich kann gar nicht so schnell schauen, ist mein Baum im Meterprügeln zum Trocknen aufgeschichtet.
Tja… das war’s dann wohl. Ich berichte nicht mehr über die Schnapserl und die Bierchen, nicht mehr über das eine oder andere Achterl Wein, nicht mehr über die gegrillten Koteletts, nicht mehr über den Spätnachmittag, der sich bis in den Abend und in die Frühe zieht – denn das hat ja alles nichts mehr mit dem Baumfällen zu tun…
Aber „Danke“ muss ich schon noch sagen. Danke Hannes! Danke Christine! Danke Fredl!

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