Ratz

Råtz

Jetzt ist die neue Wohnung bald zu beziehen. Die gravierendsten Übersiedlungsarbeiten sind schon erledigt. Sie ist fast fertig eingerichtet. Die Arbeit der Handwerker liegt in den letzten Zügen. Die Umgebung, unten auf der Straße, ist auch noch nicht ‚fertig‘. Gräben sind noch aufgerissen. Neue Rohrleitungen und Kanäle wurden verlegt. Aber sie wissen, in ein paar Wochen – dann, wenn sie eingezogen sind – wird auch davon nichts mehr zu sehen sein.
Aber heute wollen sie mal in die neue – fast fertige – Wohnung schaun. Was die Handwerker weitergebracht haben. Und ob sie eh alles richtig gemacht haben. Also fahren sie mit dem Aufzug in den vierten Stock. Und stehen dann gleich vor ihrer Wohnungstür.

Ähh… Mein Gott! Was ist denn das? Vor der Wohnungstür, auf dem Fußabstreifer… da sitzt doch was. Es ist…
»Ein Råtz!« sagt er.
»Was? Eine Kåtz?« fragt sie.
»Nein, ein Råtz.«
Auf dem Fußabstreifer ist ‚Willkommen‘ aufgedruckt. Er sitzt genau auf dem Dopple-M. Ein ‚schönes‘ Exemplar. Mit einem langen Schwanz. Er blickt sie mit seinen Knopfaugen an. Ist nicht beunruhigt. Nicht aufgescheucht. Er sitzt. Und schaut.
»Was tun wir jetzt?«
»Weiß nicht. Wie kommt der überhaupt hier herauf? In den vierten Stock?«
»Vielleicht ist er mit dem Lift gefahren?«
»Blödsinn. Um mit dem Lift zu fahren, braucht man einen Schlüssel. Den wird der Ratz doch kaum haben.«
»Na, dann wird er über das Stiegenhaus heraufgekommen sein.«
»Wahrscheinlich.«
»Wo kommt der eigentlich her?«
»Wahrscheinlich aufgescheucht von den Kanal-Grabungsarbeiten. Seiner Behausung beraubt…«
»Na, das fängt ja gut an, mit unserer neuen Wohnung.«

Der Råtz hat das Gespräch in aller Ruhe verfolgt. Hat ruhig zwischen ihnen hin und her geblickt.
»Gut, aber was tun wir wirklich?«, fragt er.
»Naja«, antwortet sie, »da steht ja ein Besen. Ich schau mal, dass ich ihn verscheuchen kann.«
Und sie schubst den Råtz an, der sich gar nicht bewegen will. Sie schubst ihn Richtung Lift. Denn wenn er da drinnen ist, denkt sie, dann…
Und tatsächlich. Sie schafft es, ihn in den Lift zu bugsieren. Dort verkriecht er sich in einer Ecke. Schnell drückt sie den Knopf ‚E‘ innen ohne selbst den Lift zu betreten. Die Tür schließt sich. Der Lift gleitet nach unten.
Jetzt ist er unten. Die Tür wird sich öffnen. Der Råtz wird hinauslaufen. Ins Freie. Und irgendwo verschwinden. Ja…, so denkt sie. Sie drückt auf den Knopf, um den Lift wieder heraufzuholen.
Die Tür öffnet sich. Vor ihr sitzt der Råtz. Schaut sie mit seinen Knopfaugen an. Läuft heraus. An ihr vorbei. Hockt sich wieder auf den Fußabstreifer. Na warte!

Her mit dem Besen. Sie schubst ihn jetzt Richtung der Stiegen. Er faucht. Sie schubst ihn über die Stufen hinab. Immer weiter. Der Ratz ist aufgeregt. Fast so wie sie selbst. Der Ratz ist unwillig. Verbeißt sich im Besen. Bleibt daran hängen. Fällt wieder herunter. Er quiekt und faucht. Das klingt ja fast gefährlich. Und dann ist sie im ersten Stock. Immer weiter befördert sie das Vieh die Treppen runter. Und dann sind sie im Parterre. Eine Tür geht auf. Eine ältere Frau tritt ins Stiegenhaus.
»Na, nicht schlecht«, meint sie, »sieben Minuten, um ihn runterzuscheuchen. Ich habe fast zehn Minuten gebraucht, um ihn in den vierten Stock hinaufzubringen…«

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