Pensionistenausflug

ICH gehör doch zu denen. Zu den Lästerern. Wenn ein Wirtshaus überfüllt ist. Wenn Schlagen vor einem Bus – oder vor der Toilette – stehen. „Aha, schon wieder ein Pensionistenausflug“. Also ICH bin’s, der beim Anblick eines Schippels alter Leute ruft „Ein Pensionistenausflug!“ Wobei ich ehrlich gesagt mit meinen 62 Jahren nicht genau weiß, was ich mit „alte Leute“ meine. Aber das nur nebenbei…
Ich dachte mir wirklich nichts dabei. Es war einfach so, dass einige meiner Freunde (und früherer Kollegen) schon mehrmals bemerkten, dass die Sparkassen-Ausflüge recht nett seien. Und dass ein Irrsinns-Gris drum sei. Ich bin auch bei den letzten Ausflügen gar nicht drangekommen – zu spät angemeldet, ausgebucht. Als ich also hörte, dass wieder zwei Ausflüge ausgeschrieben sind (Tegernsee und Passau), war ich schnell. Sehr schnell. Mit der Anmeldung. Und bekam die Zusage. Halleluhja! Wir sind dabei. Beim Sparkassen-Ausflug… ähh Sparkassenpensionisten-Ausflug.
Ich dachte nicht viel darüber nach – war ja eh noch weit weg. Aber am Vorabend des Ausflugs fragte ich mich plötzlich „was tu ich eigentlich am Tegernsee?“ Das sind ja dreieinhalb Stunden Busfahrt. Also hin und zurück sieben Stunden! Wo ich doch eh so ein Bus-Fan bin.
Und heute ist’s soweit. Es ist noch halb dunkel, als wir auf den Bus warten. Ja, da stehen sie ja alle. Die kenn ich ja alle! Nett. Das ist doch die… die… da fällt mir doch grad der Name nicht mehr ein. Ja gibt’s denn sowas? Na, vielleicht, weil’s noch dunkel ist? „Hallo griassdi, hallo griassdi…“ Hände geschüttelt. Ja, und die ist auch da, die Renate. „Hallo Renate…“ „Gerda“ erwidert sie. Ahja…
Im Bus sitzen – fast – lauter bekannte Gesichter. Das ist doch der… der… der Dings… der hat doch in der… in der… in der Dings gearbeitet. Ich geb auf. Wir setzen uns auf die für uns reservierten Sitze. Traudi fragt mich, wie der neben mir heißt. „Ähhh… ja… den kenn ich schon ewig“. Ob der nicht Praher hieße? Is‘ eh klar. Das ist der Praher. Woher weiß Traudi das? Gut, wir fahren ab. Das Hundsviech von Organisator Kurt Müller bellt unentwegt. Kurt begrüßt uns offiziell per Mikrofon, gibt einige Verhaltensregeln aus – immer unterbrochen von seinem Hund, der Gott sei Dank kein Mikro hat.
Die ersten eineinhalb Stunden sind nicht sehr erlebnisreich. Ich döse vor mich hin, bis wir einen ersten Halt machen – „Gesundheitsstop“ heißt hier die Pinkelpause. Ratlos stehe ich vor der Raststation – ich muss nicht pinkeln. Wick gesellt sich zu mir (ich bin mir sicher, dass er mit dem Vornamen Wick heißt).
„Na, wie lang bist denn schon in der Pension?“
„Ein gutes Jahr.“
„Aha, und wie geht’s dir?“
„Ja, gut, sehr gut sogar.“
„Mir auch.“
„Ja, so geht’s…“
„Ja, ja…“
Einer, den ich noch nie in meinem Leben gesehen habe, kommt herbeigeschlendert.
„Na Pepi, wie lang bist denn schon in der Pension?“
„Ein gutes Jahr.“
„Aha, und wie geht’s dir?“
„Ja, gut, sehr gut sogar.“
„Mir auch.“
„Ja, so geht’s…“
„Ja, ja…“
Am Rückweg zum Bus geht eine ältere Dame neben mir. Die hat sicher früher auch anders ausgeschaut. Ja, bei Frauen, da kennt man eben das Alter. Wie heißt die doch gleich?
„Pepi, wie lange bist…“ beginnt sie.
„Ein gutes Jahr“ sage ich schnell, „und es geht mir gut, sehr gut sogar. Jaja, so geht’s. Jaja“.
Sie sieht mich etwas merkwürdig an, aber es ist eh Zeit zum Einsteigen. Kurt bedankt sich für die Pünktlichkeit, als ob es ein Wunder wäre, bei diesen vielen sensationellen Sehenswürdigkeiten rund um die Raststation. Ich schnapp mir ein kleines Bier, aber das ändert nicht viel – außer, dass ich jetzt pinkeln muss.
Die nächsten eineinhalb Stunden sind nicht sehr erlebnisreich. Ich döse vor mich hin, bis sich Müller meldet und unsere baldige Ankunft ankündigt. Ich sage nichts, aber mein Kreuz sagt „Gott sei Dank“. Wir stehn im Stau. Da wir wunderbares Wetter haben – wolkenlosen Himmel – kann man gut die Abgase der kilometerlang stauenden Autos erkennen. Das hab ich eigentlich bisher noch nie so beobachtet. Ich bin doch froh, mitgefahren zu sein.
Endlich sind wir am Ziel. Am Bahnhof von Gmund. Ich wollte eh immer schon mal den Bahnhof von Gmund sehen. Wir warten auf unsere Reiseleiterin. Als sie kommt, behauptet sie, erstens Heimatführerin zu sein und zweitens uns zum See bringen zu wollen. Wir erfahren alles über die Geschichte des Tegernsees – auch dass Thomas Mann mal hier war. Teufel! Zum See sind’s 300m. Dort setzt sich die Geschichtserzählung fort. Ich betrachte derweil den See. Es ist wirklich nett hier. Größer als der Ödsee und genauso schön. Und kleine Wellen. Und Hügeln – fast kleine Berge. Und Häuser. Viele Häuser. Große Häuser. Kleine Häuser. Und Bäume. Sträucher. Und viel Prominenz gibt’s hier, so höre ich. Dann holt uns der Bus ab. Ist auch ganz gut so, nach dem langen Gewaltmarsch.
Im Ort Tegernsee besuchen wir Kirche (oder Kloster?), gehen 85m zum See und irgendwie ein bisschen kreuz und quer. Interessant. Ab und zu fragt mich jemand, wie’s mir in der Pension geht. Mittlerweile sage ich, dass mir die Arbeit schon sehr abgehen würde.
Mittagessen gibt’s im Herzoglichen Bayrischen Brauhaus. Zünftig bayerisch. Schweinshaxn und so. Und ein paar Halbe Bier. Alkohol brauch ich jetzt dringend. Wir sitzen mit den Hofers und Mörix‘n am Tisch. Die einzige Zeit, in der mich niemand fragt, wie’s mir in der Pension geht. Wir fahren wieder ein paar Kilometer mit dem Bus (Kurt bedankt sich für unsere Pünktlichkeit) bis Rottach-Egern. Das berühmte Rottach-Egern! Dass ich das noch sehen durfte! Das folgende Kirchlein ist uns wurst. Wir spritzen es. Wir (Mörix‘, Traudi und ich und ein paar optisch Bekannte, aber namentlich Unbekannte) gehen auf einen Kaffee. Langsame Bedienung. Zuwenig Zeit. Wir stürzen den Kaffee hinunter. Laufen zur Schiffsanlagestelle. In 15minütiger Fahrt geht’s rüber nach Bad Wiessee. Hier geht’s rund. Da gibt’s Spaziergänger (mit und ohne Krücken) und Bäume (groß, klein, belaubt, benadelt) und Bauernhäuser (beholzt und beblumt) und Wege und Sträßchen. Wir nehmen mal einen Kaffee und ein Gläschen Frankenwein. Brechen dann auf. Zu einem Spaziergang. Am See entlang. Wie aufregend! Ab und zu fragt mich jemand, wie‘s mir denn in der Pension ginge. Auf mein „Ich bin noch nicht in Pension!“ ernte ich befremdende Blicke. Nach 400m finden wir eine Bank. Wie sich‘s für Pensionisten gehört, sitzen wir etwas in der Sonne. Ich döse ein. Wahrscheinlich vor lauter Begeisterung.
Jetzt wird’s aber Zeit. Zurück zum Bus. Heimfahrt. Kurt bedankt sich für unsere Pünktlichkeit. Sogar sein Hund hat vor lauter Langeweile aufgehört zu bellen. Ich schnapp mir ein kleines Bier. Wir stehn lange Zeit im Stau. Da hab ich Zeit, die Erlebnisse nochmal revue passieren zu lassen – und sie auch zu verdauen. Naja, war ganz schön aufregend. So richtig für Pensionisten geeignet. Nach zwei Stunden werd‘ ich wach. Gesundheitspause. Bei einer Raststation. Es ist schön hier. Jemand fragt mich, wie’s mir denn in der Pension so ginge. Aber ich habe keine Zeit. Muss wieder in den Bus einsteigen. Kurt bedankt sich für die Pünktlichkeit und verspricht uns als Belohnung (!) einen Witz – aber erst später, wenn wir kurz vor dem Ziel sind. Ich döse etwas vor mich hin. Kurt weckt mich – wegen des Witzes. Ein Uralt-Witz. Er erzählt ihn lang und breit. Ich schlafe dazwischen immer wieder ein. Aber bei der Pointe bin ich grad wach. Kriege mit, wie die Damen begeistert aufkreischen.
Zuhause. Aussteigen. Schön war’s! Pfiat’eich. Bis bald!
Mein Kreuz flüstert mir zu „Du dummer Hund, wenn du das noch einmal mit mir machst…“ Mein Gott! Ich bin ja auch für den nächsten Ausflug angemeldet…

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