Passau – Linz

Ich bin doch wirklich ein Depp! Weithin bekannt als absoluter Nicht-Radfahrer! Na gut, in meiner Kindheit bin ich Rad gefahren. Hatte aber nie ein eigenes. Bin mit dem Rad meines Vaters gefahren. Ein Waffenrad. Natürlich ein Herrenrad. Musste unter der Querstange durchtreten. Dann kam eine etwa 20jährige Rad-Abstinenz. Von Irgendjemanden kriegte ich dann ein Dreigang-Rad. Ich absolvierte eine kurze, etwa fünfjährige Radler-Lebensepisode. Mein Gott, was hat’s mich geschmissen! Denn oft war das Radl-Ausflugsziel ein Mostbauer. Oder ein Festl. Und am Rückweg war ich dann nie so richtig sattelfest im Sattel. Damals sprach noch kein Mensch davon, dass man „angeschwipst“ nicht Radfahren dürfe – von Führerschein wegnehmen oder so war noch lange keine Rede. Meine Stürze gingen aber immer halbwegs glimpflich aus, etwas abgeschunden, aber nichts dramatisches. Und dann – ich glaube, es war 1991 – kam das Erlebnis, das meine Radkarriere abrupt beendete. Wir fuhren von Linz in die Wachau. Es waren drei Tage Aufenthalt in der Hölle. Ich hatte zwar bisher gewusst, dass der Hintern schmerzen konnte – aber soooo! Ich konnte nicht mal mehr ans Sitzen denken. Die Zeit bei den Wachauer Weinbauern verbrachte ich an Stehtischen. Und als wir wieder zu Hause waren, schwor ich mir, nie wieder auf ein Fahrrad aufzusteigen. Das habe ich dann durchgehalten bis zum vorigen Jahr…

 

Meine Freunde ErichM, ErichF und Gerhard machten den einen oder anderen Radausflug. Und Dieter und ich waren oft dabei. Also… nicht so richtig… aber doch irgendwie. Dieter und ich fuhren im Cabrio. Und dann fiel einmal Dieter aus. Ich hatte kein Cabrio, also nahm das Unglück seinen Lauf. In einem Anfall von Wahnsinn ließ ich mich überreden, an einer Radltour nach Mauthausen teilzunehmen. Mit dabei waren ErichM, ErichF, Gerhard, Christian, Christa und Ingrid. Und das E-Bike von ChristaF. Das war meines. Wir kehrten zweimal ein und ich gestand mir letztendlich ein – eh nur mir! – dass es mir eigentlich eh ganz gut gefallen hat. Ich hatte nur nicht gewusst, dass einem nach 50 km der Hintern auf einem E-Bike genauso weh tat, wie auf jedem anderen Rad. Als wir dann aber am Ziel das Abschlussbierchen gezischt hatten (oder waren es zwei gewesen?) machte ich einen unverzeilichen Fehler: ich gestand öffentlich (!), dass es mir gefallen hatte. Meine Freunde quatschten dann über eine Radltour von Passau nach Linz. Sie hatten das schon mehrmals gemacht. Nach dem letzten Bierchen meinte ich so nebenbei, dass das wohl gar nicht so schwierig wäre, weil‘s doch neben der Donau eh immer bergab ginge.

Ich weiß eh, dass ich keinen Alkohol trinken sollte! Weil ich dann meine Pappn nicht halten kann. Jedenfalls vereinbarten meine Kumpane, dass sie mich das nächste Mal mitnehmen würden. Das war aber sowieso nicht ernst zu nehmen, das würden sie sicher wieder vergessen. Glaubte ich.

 

Heuer im Frühjahr eröffnete mir ErichM, dass es jetzt an der Zeit wäre, mit dem Training zu beginnen. Was für Training? Na, für Passau-Linz. Ach du Scheiße! Dieter!!!! Dieeeeeter!!!! Cabrio!!!! Nix Cabrio! Strampeln! Erich meinte es ernst. Ich schaute mal ins Internet, wie weit das war. Streckenlänge 100 km. Das konnte nicht sein! Kein Mensch kann 100 km mit dem Rad fahren. Man erklärte mir, dass es da gar keine Diskussion mehr gäbe, ich hätte bereits zugesagt. Auch „da-kann-ich-mich-aber-nicht-erinnern“ brachte nichts. Also musste ich am 22.Mai mit zur Trainingsfahrt nach Abwinden. Mit ErichM, ErichF, Gerhard, Christian, Christa und Siegi. ErichM borgte mir sein frisch renoviertes Mountain Bike. Mit Rennsattel. Noch wusste ich nicht, was das zu bedeuten hatte. Aber nach 200 Meter! Wir fuhren vom Pleschingersee weg und er war noch immer in Sichtweite, als mein Hintern zu schmerzen begann. „Aber“, so betonte ErichM immer wieder, „das gibt sich, das ist nur am Anfang so.“ Es gab sich nicht! Als wir nach 25 km wieder den Pleschingersee erreichten, fühlte sich mein Hintern an wie eine einzige Wunde. ErichM borgte mir für die nächsten Wochen sein Mountain Bike, damit ich trainieren konnte. „Denn mit jedem Training wird’s besser“, meinte er.

 

Nachdem wir als Passau-Linz-Termin den 20. Juni fixiert hatten, fuhr ich ab sofort kleine Trainingsrunden. Eh immer nur so um die 15 km. Aber es war immer die Hölle! Ich träumte davon, dass ich den Scheiß-Sattel abschraubte und dass darunter ein Etikett zum Vorschein kam: „Made in China. Vorgesehen als Folterinstrument“. Meine Beine sehen auch nicht gut aus, denn immer wieder hole ich mir Abschürfungen von den Pedalen – ich bin halt nicht der geschickteste Radlfahrer. Nach der fünften Trainingsfahrt kaufte ich mir eine Radlhose – so eine mit verstärktem Hinterteil. Das nützte aber auch nichts. Jedenfalls nicht bei DIESEM Sattel. Gott sei Dank hatte ErichF versprochen, mir zur Passau-Tour wieder Christas Radl zu borgen. Das hatte – soviel konnte ich mich erinnern – einen breiten, komfortablen Sattel. Ohne diese Aussicht hätte ich mich anstatt der Radltour vorzeitig in die Donau gestürzt. Und da waren dann noch eine ganze Reihe Mutmacher. Da man mich nie mit einem Fahrrad gesehen hatte, fiel ich natürlich jetzt mit dem Radl auf. Und wenn ich von meinem Vorhaben erzählte, meinte man – teilweise ungläubig – „was so weit?“ Und das von Leuten, die durchaus als Radlfahrer bekannt waren. Jedenfalls ließ das meinen Mut nicht ins Unermessliche steigen.

 

Also drehte ich weiter meine Radl-Folter-Runden. Manchmal kamen Erich und Uschi mit. Und ich bemerkte zu meinem Entsetzen, dass mir das Radlfahren Spaß zu machen begann. Ich schaffte mir sogar einen Radlhelm an. Und ich ertappte mich bei dem Gedanken, wie’s wohl nach dem 20.Juni weitergehen würde. Ich hatte dann kein Leihradl mehr… Ob ich mir vielleicht…? Nein ganz sicher nicht! Meine Radlerkarriere würde nach dem 20.Juni endg+ltig das Zeitliche segnen. Ganz sicher! Aber vielleicht…? Vielleicht sollte ich doch…? Überlegen…? Na, mal sehen. Dann kam auch bei Traudi der Radlfahrergeschmack zurück und wir fuhren gemeinsam. Als ich einmal mit Traudis Komfort-Sattel-Rad fuhr, senkte sich meine Sattel-Panik weiter. Es gab also doch noch andere Sättel.

Und dann kriegte ich von ErichF vorzeitig Christas Radl zum Trainieren. Ich brachte ErichM sein Foltersattelrad zurück und trainierte jetzt mit Christas E-Bike. Insgesamt hab ich nur etwa 15 Trainingsfahrten mit nicht mehr als 200 km geschafft. Und bald würd’s losgehen! Ich hab‘ richtigen Bammel davor. Mein geistiger Rettungsanker ist Uschi. Sie ist unser Back-up. Wenn ich nicht mehr weiter kann, wird sie mich mit dem Auto abholen. Das ist das Einzige, was mich etwas beruhigt. Aber es gibt eh noch genug, was mich beunruhigt. ErichM hat für die Kommunikation einen WhatApp-Gruppe eingerichtet und in den letzten Tagen vor der Fahrt verschicke ich – meiner Meinung nach – lustige Bildchen mit dem Text, „nur noch … Tage“. Das mache ich, um mich coll zu geben.

 

Es ist soweit. Mit von der Partie sind ErichM, ErichF, Christian, Christa, Gerhard, Rudi und Helmut. Christian, Christa und ich werden mit einem E-Bike unterwegs sein. ErichM holt mich in der Früh ab und wir treffen uns um 06.30 am Bahnhof, um um 07.00 mit dem Regionalzug nach Passau zu fahren. Hatte gar nicht gewusst, dass ein Bahnhof so viele Stockwerke hat, die man hinunter und wieder hinauf muss – mit dem doch reichlich schweren E-Bike. Nach 1 Stunde 40 Minuten erreichen wir mit dem Regionalzug – er bleibt an jeder Hundehütte stehen – Passau.

Wir radeln gleich los, es ist ein wunderschöner, wolkenloser Tag, aber es wird heißt werden. Wohl über 30 Grad. Am Anfang sind sowieso alle gut drauf, wir lassen die Stadt hinter uns und fahren am linken Donauufer die Donau abwärts. ErichM macht vorne das Tempo, ErichF macht das Schlusslicht. Mein Hintern macht gute Miene zum bösen Spiel. Hab ich mir doch noch ein paar Muskeln antrainieren können? Nach 10 km machen wir einen kurzen Halt und ein Foto zum verschicken, damit die Daheimgebliebenen auch was von unserer Fahrt haben. Aber es geht gleich wieder los, unser erste Etappenziel ist Jochenstein, dort kennt ErichM ein gutes Wirtshaus. In Jochenstein plagt uns schon der Durscht, weil es doch schon ganz schön heiß wird. Aber das Wirtshaus macht uns Sorgen… Dienstag geschlossen. Natürlich finden wir Ersatz, und zwar in Form eines schattigen Gastgartens in Kramesau. Ich lade meinen Akku auf. Zur inneren Akku-Aufladung zischen wir ein Bierchen, aber nur eines, denn wir haben erst ungefähr ein Viertel unserer Strecke hinter uns. Obwohl ich (noch) extrem gut drauf bin, habe ich Bedenken, weil wir ja doch noch drei Viertel vor uns haben.

Nach einer guten halben Stunde Rast geht’s weiter, wir drehen zum WhatsApp-Versand ein kurzes Video. Ich bin bis jetzt noch nicht allzu viel mit dem Motor gefahren, aber jetzt gasen unsere Radlprofis an. Wir fahren immer so um die 27 km/h und da brauch ich die E-Unterstützung. Schön langsam meint mein Hintern, dass ihm das auf die Dauer gar nicht passt. Aber nach jeder fünfminütigen Pause sind die (noch) geringen Schmerzen wieder weg. Eines dieser Päuschen legen wir ein, als Christas Akku den Geist aufgibt. Nach 40 km! Und das, obwohl der Radlverleiher meinte, dass man mit dem Akku 125 km fahren könnte. Das verheißt jetzt mal nichts Gutes. Denn mit einem E-Bike ohne E-Unterstützung zu fahren, ist – jedenfalls bei unserem Tempo – nicht einfach, sprich nahezu unmöglich. Nicht nur, weil die E-Bikes schwerer sind, sie sind auch eher wenig lauffreudig. Aber Christian und Christa haben ja eh zwei Reserve-Akkus mit. Bei der Schlögener Schlinge setzten wir mit der Fähre auf das rechte Donauufer über.

In Kobling haben wir dann ungefähr die Hälfte unserer Strecke geschafft, wir machen Mittagspause. Ich bin nicht mehr gut drauf, der Hintern schmerzt und meine Psyche scheint Schwierigkeiten zu haben mit der Tatsache, dass wir nocheinmal so weit fahren müssen, wie wir schon gefahren sind. Das Ambiente hier in dieser Imbissbude ist auch nicht das schönste. Das Mittagessen ist eher Nebensache, im Vordergrund steht eine kurze Erholung.

Nach etwa 40 Minuten machen wir uns wieder auf den Weg. Bei der Rast habe ich meinen Akku wieder aufgeladen, ich brauch ihn jetzt immer öfter, denn ich muss beim Fahren immer wieder aufstehen, um meinen Hintern zu entlasten. Für mich kommt jetzt der schwierigste Teil, ich zweifle immer mehr daran, dass ich es bis Linz schaffen werde. Unsere Gruppe ist jetzt oft weit auseinandergezogen, einige Profis fast kilometerweit vorne weg und wir Schwachonis hinterher. Bei einem Kurz-Päuschen vertreibt uns ein gewalttätiger Schwan die Zeit. Ich hätte stundenlang zuschauen können – Hauptsache, ich sitze nicht auf dem Rad. Gegen halb drei erreichen wir Aschach. Zeit für eine weitere Pause. Ich lade meinen Akku auf. Es ist jetzt wirklich scheiß-heiß, das spürt man aber auf dem Rad nicht so sehr, wie beim Sitzen unter dem Sonnenschirm. Gut, dass wenigstens das Bier kühl ist. Unsere Profis sind sich nicht einig, ob wir noch dreißig oder vierzig Kilometer vor uns haben. Ich stimme vorsichtshalber für 30. Kurz steht zu Diskussion, ob wir die letzte Strecke bis Linz durchfahren. Hhhnnn?!?!? Das kann’s aber wirklich nicht sein! Mein hysterisches Protestgeschrei wird erhört, wir planen noch eine Rast kurz vor Ottensheim. Na gut, ich bin jetzt vorsichtig optimistisch.

Kurz nachdem wir uns wieder auf den Weg gemacht haben, gibt Christas zweiter Akku den Geist auf. Um Cristian mit dem Reserve-akku einzuholen ist Erich – nach eigenen Angaben – 38 km/h gefahren. Der letzte Akku wird eingebaut – hoffentlich hält Christians Akku durch. Ich hab mit meinen ohnedies keine Probleme, weil ich ja ständig nachlade. Wir haben jetzt leichten Rückenwind und gleich fährt es sich auch leichter. Meine Stimmung steigt. Kurz vor Ottensheim machen wir unsere letzte Rast beim „Bründl in Fall“. Ich lade das letzte Mal meinen Akku auf. Unsere Stimmung ist am Höhepunkt – alle sind sich jetzt auf einmal sicher, es bis Linz zu schaffen – ich auch.

Auf dem kurzen Weg zur Fähre Ottensheim, steht auch Christians Akku auf rot. Die Überfahrt auf das linke Donauufer verschafft uns nun ein zusätzliches Erholungspauserl. Leider ist unsere letzte Etappe – Ottensheim-Linz – eher eine Horrorstrecke. Der Radweg verläuft direkt neben der Bundesstraße, auf der die Autos mit 100 km in Kolonnen daherdonnern. Es ist jetzt kurz vor fünf und auch auf dem Radweg ist jede Menge Verkehr. Ich krieg direkt Angst. Denn wenn dich hier ein überholender oder entgegenkommender Radler anrempelt, dann landest du direkt auf der Straße vor den herbeibrausenden Autos. Außerdem geht’s vor Puchenau doch ziemlich bergauf. Christians Akku gibt den Geist auf – und kurz darauf auch er – er fährt mit Christa die letzten 10 km mit dem Zug.

Um 17.40 Uhr sind wir an unserem Ziel, dem Gasthaus Fischerhäusl angekommen. Reine Fahrzeit 4 Stunden, 35 Minuten. Die Meinungen über die Fahrstrecke gehen je nach Tacho etwas auseinander und reichen von 91,6 bis 97,5 km.

BackUp-Uschi wartet schon auf uns. Wir haben von unterwegs einen Tisch reserviert, man ist hier nicht recht begeistert, dass wir Radlfahrer sind, wir sind auch etwas unpassend gekleidet. Mit ein paar kühlen Bierchen und dem einen oder anderen Achterl lassen wir unseren Radltag ausklingen. Mein Hintern schmerzt nicht mehr, aber ich bin doch etwas müde. Und ich bin irgendwie stolz auf mich.

 

(2017)

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