Kuhmelken

Ich hab’s ja nicht so mit Tieren. Kann mir eigentlich nicht denken, warum man ein Tier zu Hause haben muss. Da ist zum Beispiel die Katze. Warum hat man eine Katze? Wozu? Gut, wenn man Bauer ist und auf einem Hof lebt, dann kann eine Katze schon nützlich sein – angeblich fängt sie Mäuse. Aber zu Hause? In einer Wohnung? Was tut die Katze da die ganze Zeit. Und was täte ich mit ihr? Genauso ist’s natürlich mit einem Hund. Was tut ein Hund eigentlich in der Wohnung seines Herrchens? Warten, dass er mit ihm äußerln geht? Oder was? Gut, wenn man als Bauer auf einem Hof… Hier gleichen sich die Hunde den Katzen. Denn als Bauer würde ich wahrscheinlich neben einer Katze auch einen Hund haben. Einen Hund, der den Hof bewacht. Natürlich nicht so einen neumodischen, 13 cm langen und 7 cm hohen, einen der aussieht, wie ein zu klein geratenes Meerschweinchen, sondern einen großen, furchterregenden.

So gibt’s also in bestimmten Situationen durchaus Motivationen für eine Katzen- oder Hundehaltung. Und die anderen Haustiere? Schlangen? Wozu hält sich jemand eine Schlange? Doch wohl nur, um sein Meerschweinchen zu verfüttern. Oder eine Schildkröte? Einen Hamster? Einen Wellensittich? Ein Pferd? Einen Elefanten?

Eine Kuh aber – die kann ich mir schon vorstellen. Kühe geben Milch. Und wenn ich nicht grad eine Laktoseintoleranz habe, dann geben die Kühe mir Milch – ganz bequem. Bequem? Nun, da sollte ich eines Anderen belehrt werden. Ich bin nämlich heute angemeldet zum Melken. Denn auf meiner ‚List-todo-before-you-die‘ steht »Einmal eine Kuh melken«, eine vermeintlich leichte Übung. Angemeldet bin ich bei meiner Nichte Andra Pötz, besser gesagt auf dem Grabner-Hof von Sepp Hatschenberger. Schon die Anreise ist einigermaßen abenteuerlich. Irgendwann nach Steyr biegt man ab in das Dammbachtal und dann kommt lang nichts. Und wenn gar nichts mehr ist, außer nichts, dann kommt der Grabnerhof mit der Adresse Dambachstraße 151 -den gibt’s auf keinem Navy.

Ich war nicht darauf vorbereitet, dass heute ein besonderer Tag war. Die ganze Hatschenberger- und Pötz- und Kröhnert-Verwandtschaft ist zugegen – und zwei Tichlers. Insgesamt weit über 20 Personen, Gott sei Dank sind sie nicht hier, um mir beim Melken zuzuschaun, sondern zu einem kräftigen Mittagessen.

Das Mittagessen geht vorbei, es folgt der Nachmittagskaffee. Die Gesellschaft löst sich schön langsam auf, der Spätnachmittag naht – und damit der Zeitpunkt meines Einsatzes. Bis jetzt weiß ich noch immer nicht, worum es genau geht. Schön langsam erfahre ich, dass heute kaum mehr eine Kuh mit der Hand gemolken wird, sondern mit dem Melkautomaten – die Kühe sind das auch schon gewöhnt und würden sich über eine Handmelkung ganz schön wundern.

Vorsichtshalber sehen wir uns die Kühe im Stall mal an. Oha, das sind aber ganz schön viele! Über vierzig! Dazu kommen noch die Kälber, die ich aber nicht melken muss. Ich gehe den Stall entlang und schau mir die Viecher mal genauer an. Sie kauen… gelassen? Ja, gelassen. Wieder. Aber ihre Blicke sind irgendwie… misstrauisch. Warum schaun die misstrauisch? Wurden sie über mein Vorhaben informiert? Zeitgerecht? Damit sie sich an den Gedanken gewöhnen können? Ich werde belehrt, dass alle Kühe so schauen. Wie Kühe eben schauen. Mit ihren großen Augen. Und sie haben so lange Zungen. Mit denen schlecken sie über die Schnauze bis zu den Nasenlöchern. Naja… wenn man’s mag?

Eigentlich denkt man sich gar nichts, wenn man an eine Kuh denkt. Aber die sind eigentlich ziemlich groß. Ich meine… hoch. Wenn man davor steht, ist’s nicht so dramatisch, aber wenn man daneben steht… ganz schön hoch. Unter so einer Kuh möchte ich nicht liegen, wenn sie umfällt. Vorsichtig versuche ich die Schnauze einer Kuh mit der Hand zu berühren – sie zuckt zurück. Ist sie schreckhaft?

»Nein, nein«, meint Andrea, »das ist die Melli, eine ganz liebe…«

»Die Melli?«, frage ich, »haben die Namen?«

»Ja, alle. Das ist die Melone, die Miranda«, sie geht die Kuhreihe entlang, »die Mazda, die Milka, die Milotte, die Montana, die Mira, die Merle, die Madita, die Meike, die Maren, die Melina…«

»Woran erkennst du sie?«, frage ich und schaue misstrauisch, ob’s da irgendwo Namensschilder gibt. Aber vielleicht ist das ja ein Scherz?

»Aber die kennt man doch. Jede Kuh schaut anders aus. Das ist die Melody, die Mena, die Mirja…«

Noch immer nicht überzeugt, ob ich hier veräppelt werde, frage ich »und sag mal, warum beginnen die alle mit ‚M‘?«

»Ja, das haben wir uns ausgedacht. Alle Kühe beginnen mit M.«

»Schräg«, meine ich.

Schön langsam rückt der Abend näher. Ich wurde vorgewarnt, daher hab ich eine alte Jeans mit, ein altes Hemd und alte Schuhe. Die Schuhe brauch ich nicht, denn ich bekomme übergroße Gummistiefel verpasst. Auch Andrea erscheint in ebenso gewaltigen Gummistiefeln, im schicken Overall mit dem Aufdruck »Schärdinger – gern gemacht«, die Haare unter einem Schärdinger-Tuch versteckt.

Jetzt geht’s los. Die Kühe stellen sich artig beim Melkstand an. Da gibt’s kein Drängeln und kein Schubsen – vielleicht sind’s Engländer? Immer fünf kommen auf einmal dran, das heißt fünf kommen gleichzeitig in den Melkstand. Gemächlich schlendernd, stellen sie sich diszipliniert nebeneinander auf, einige schauen misstrauisch zurück. Merken sie, dass heute noch jemand anderer hier ist? Ein Fremder? Sie halten uns den Arsch her. Stehen aber ruhig und artig. Ihre Beine voll… voll was?

Zuerst sind die Zitzen zu säubern. Andrea zeigt, wie’s geht. Dann wird »angemolken«, dass etwas Milch kommt. Es gilt zu schaun, ob die Milch klar und weiß ist. Dann ist Milch und Kuh gesund. Eigentlich noch immer keine schwierige Tätigkeit. Nur der Schwanz der einen oder anderen Kuh schwingt manchmal nervös aus, es folgt ein leichter Klaps auf mein Hinterhaupt. Und wer glaubt, diese Schwänze wären rein und sauber, der irrt. Aber – alles bio!

Dann werden die Schläuche der Melkmaschine an die Euter angeschlossen, gar nicht so einfach, dass der Schlauch in der Zitze hält. Bald sind alle fünf »versorgt«, die Melkmaschinen laufen. Als die Euter leer sind – wann das ist, bestimmt Andrea – kommen die Schläuche ab. Vorsichtig, denn die sind noch immer etwas festgesaugt. Derart abgefertigt, verlassen die ersten fünf den Melkstand. Gelassen. Das Melken scheint ihnen angenehm gewesen zu sein. Kein Stress. Die nächsten kommen rein. Insgesamt acht Durchgänge. Ich werde jedes Mal routinierter, aber insgesamt ist’s doch eine ganz schöne Arbeit. Und das zweimal am Tag, morgens und abends. Und wenn man mal nicht da ist, muss Ersatz gefunden werden, denn Nicht-Melken, das geht eben nicht.

Ich bin froh, als wir fertig sind. Und dass ich den Dreck herunterbekomme. Jetzt gibt’s noch eine Jauserl. Und ein Schnapserl.

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